Schluss mit der fragwürdigen Spritzerei bei unspezifischem Rückenschmerz!

Allgemeinmediziner warnt vor Konsequenzen – für Patient:innen und behandelnde Ärzt:innen

Greifswald - Injektionstherapien gegen unspezifische Rücken- und Nackenschmerzen sind zwar weit verbreitet. Aber der hinreichende Beleg einer anhaltenden Wirksamkeit fehlt nach wie vor. Vielmehr drohen erhebliche Komplikationen, evtl. mit juristischen Konsequenzen für den Arzt oder die Ärztin. Genug Gründe also, auf die Spritzen zu verzichten.

Folgt man Verordnungsdaten für den Praxisbedarf, lautet die Nummer 1 der Schmerzmittel, die bei Rückenbeschwerden in den M. gluteus medius injiziert werden, Diclofenac. Auch Ibuprofen, Parecoxib und Tramadol stehen zur i.m. Injektion zur Verfügung. Fraglos können NSAR kurzfristig Schmerzen lindern, aber eine wesentlich schnellere Wirksamkeit als bei oraler oder rektaler Applikation tritt nicht ein, so Professor Dr. Jean-Francois Chenot, Institut für Allgemeinmedizin an der Universität Greifswald. Die maximale Plasmakonzentration wird bei oraler Einnahme von Diclofenac nach 20 Minuten erreicht, mit i.m. Spritze nach 15 Minuten.

Schwere Komplikationen trotz sachgerechter Injektion

Die Gefahren hingegen sind nicht zu unterschätzen: Trotz sachgerechter Injektion wurden für NSAR und Tramadol schwere Komplikationen beschrieben. Insbesondere das Risiko für anaphylaktische Reaktionen ist deutlich erhöht. In der Fachinformation für Diclofenac wird deshalb die Bereithaltung eines Notfallbestecks nebst einstündiger Überwachung des Patienten gefordert. Außerdem kann es durch versehentliche intra- oder paraarterielle Injektion zu einer aseptischen Nekrose (Nicolau-Syndrom) kommen,die operativ saniert werden muss. Mangels rationaler Indikation für Injektionen hat die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Kreuzschmerz eine starke Negativempfehlung ausgesprochen. Die parenterale Anwendung von Metamizol bei Rückenschmerzen lehnt Prof. Chenot ebenfalls ab. Die Injektion (i.m. und i.v.) steigert nachweislich das Risiko für hypotensive und anaphylaktische Reaktionen, ohne dass die Wirkung bisher in Studien belegt wäre.

Auch die Neuraltherapie kommt bei Rückenschmerzen häufig zum Einsatz. Im weiteren Sinn versteht man darunter jegliche Injektion eines Lokalanästhetikums zur Schmerzlinderung. Das „Quaddeln" zählt ebenso dazu wie das gezielte Anspritzen von Nerven oder Myogelosen. Injiziert wird meist „da, wo's wehtut“ (Davos-Methode). Weniger verbreitet ist die Neuraltherapie im engeren Sinn (nach Hunecke), bei der in sogenannte Störfelder gespritzt wird.

Ein Wirksamkeitsnachweis bei muskuloskelettalen Beschwerden steht allerdings noch aus. Dagegen drohen ernste Komplikationen wie Pneumothorax, anaphylaktischer Schock, Herzrhythmusstörungen und epileptische Anfälle, schreibt Prof. Chenot. Die NVL Kreuzschmerz sprechen sich ebenso wie die DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin) - Leitlinie Nackenschmerz gegen die Injektion von Lokalanästhetika aus.

Auch für die Wirkung von Kortison-Spritzen bei unspezifischem Rückenschmerz gibt es bisher keine überzeugenden Studien, bemängelt der Allgemeinmediziner. Von einer ungezielten intramuskulären Injektion ist kein Vorteil gegenüber der oralen Steroidtherapie zu erwarten. Letztere hat sich bei Rückenschmerzen bereits als ineffektiv erwiesen. Ein gezieltes Anspritzen von Nervenwurzeln oder Facettengelenken gelingt nicht ohne Bildgebung, selbst das Ileosakralgelenk wird meist verfehlt. Studien zufolge hat die gezielte Steroidtherapie allenfalls kurzfristige Effekte, aber keinen anhaltenden Einfluss auf chronische Schmerzen. Gleichzeitig drohen schwerwiegende infektiöse Komplikationen und aseptische Knochennekrosen.

Schließlich lauern juristische Fallstricke: Bei der Aufklärung muss der Arzt neben den besonderen Risiken von Spritzenbehandlungen (Blutung, Verletzung, Infektion) auch spezielle Gefahren durch die applizierte Substanz darlegen. Außerdem muss er Alternativen aufzeigen, vor allem wenn eine orale Applikation möglich ist. Wegen der oft unzureichend dokumentierten Information der Patienten wird häufig ein Aufklärungsfehler angenommen, der zur Beweislastumkehr führen kann.

Herstellerhaftung kann auf den Arzt oder die Ärztin übergehen

Prof. Chenot erinnert zudem daran, dass durch das Mischen zweier Fertigarzneimittel (z.B. Diclofenac und Dexamethason) ein neues Arzneimittel in Verkehr gebracht wird. Dadurch gehe die Herstellerhaftung auf den mischenden Arzt:in über. Außerdem bietet die Aufklärung keine Sicherheit, wenn die Indikation für die Maßnahme fehlt. Auch eine Einwilligung des Patienten führt dann nicht dazu, dass etwaige Komplikationen als „schicksalhaft" gewertet werden, d.h., sie schützt den Arzt oder Ärztin nicht vor einer Haftung.

Dr. Dorothea Ran

Chenot JF. internistische praxis 2017, 57: 474 - 478


Aktualisiert 08-Jan-2024 20:02